Projektleiter: Prof. Dr. Daniel Fulda
Zu historisieren, d.h. alles Sein in seinem Gewordensein zu sehen und daraus zu verstehen, gilt seit Troeltsch, Koselleck und Foucault als grundlegendes Denkmuster der kulturellen Moderne, das entscheidend im langen 18. Jahrhundert geprägt wurde. Zu historisieren stellt Kontinuitäten her und reagiert dadurch auf eine spezifisch moderne Kontingenzerfahrung. Die praktische Relevanz ist vielfach und weitreichend: Geschichtlich zu denken steuert seitdem politische Legitimationsstrategien ebenso wie ästhetische Wertmaßstäbe, die Methodik der Geisteswissenschaften ebenso wie das Identitätsmanagement moderner Subjekte.
1. Historisierung gilt als ein Vorgang, der im Laufe der europäisch-westlichen Neuzeit immer weitere Bereiche von Kultur und Gesellschaft dem ‚historischen Denken‘ unterwarf. Doch ist die damit einhergehende Annahme zu hinterfragen, mehr Historisieren gehe regelmäßig mit zunehmendem Geltungsverlust der universalen Vernunft, einer als unwandelbar vorausgesetzten Natur, religiöser Transzendenzpostulate, der Tradition oder anderer Maßstäbe einher, die jeweils (noch) nicht historisiert sind oder als prinzipiell nicht historisierbar vorausgesetzt werden. Mit der Leitfrage nach dem paradoxen Zusammenwirken von Historisierung und ihren – weiterbestehenden oder sogar integrierten – ‚Widerparten‘ soll das Forschungsfeld neu geöffnet werden.
Unbefriedigend ist 2. die Konzentration der Forschung auf die Geschichtsvorstellungen der Philosophen und Dichter sowie auf die großen Autoren der Historiographiegeschichte. Die im Forschungsfeld Historisierung geplanten interdisziplinären Untersuchungen zielen gleichermaßen auf die Praktiken der Historisierung, um deren immense Reichweite präziser bestimmen zu können.
Gehemmt stellt sich die bisherige Forschung 3. durch eine weitgehende Segmentierung nach Sprachen dar. Wir beabsichtigen daher, die auf das deutschsprachige Mitteleuropa bezogene Forschung mit der auf Frankreich und Großbritannien gerichteten zu vermitteln und nach Möglichkeit auch weniger beachtete Länder wie Italien und Russland einzubeziehen. Das besondere Augenmerk richtet sich auf das ‚lange 18. Jahrhundert‘, das als entscheidende Phase der Historisierung gilt, doch werden punktuell auch die vorangehenden und nachfolgenden Jahrhunderte der Neuzeit in die Untersuchung einbezogen, damit qualitative wie quantitative Reichweite des sattelzeitlichen Historisierungsschubes beurteilt werden können.
Die Arbeit im Projektbereich setzte Daniel Fulda u.a. mit der Redaktion eines interdisziplinären Handbuchs zum Thema Literatur & Geschichte fort. Es soll in der Reihe der Handbücher zur Kulturwissenschaftlichen Philologie des Verlags De Gruyter erscheinen (Mitherausgeber: Franz Leander Fillafer, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien; Mitarbeit: Jakob Heller, Germanistisches Institut Halle).
Das IZEA gehört zur Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und befasst sich als Forschungseinrichtung zur Kultur- und Geistesgeschichte des 18. Jahrhunderts mit der Aufarbeitung einer Epoche, in der die Fundamente der modernen westlichen Gesellschaften gelegt wurden.
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